Es wird besser?!
Viele Tage und somit einige Wochen der Rekonvaleszenz sind bereits vergangen. Die Rekonvaleszenz, der Prozess der Genesung, das Comeback und somit das Wachsen und wieder stark werden. Ich habe mir das als stetig fortschreitenden, steil nach oben verlaufenden Weg vorgestellt. Jeden Tag 1% besser bis ich wieder bei meiner ursprünglichen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit angekommen bin. Aber wie so oft auf meiner dysplastischen Reise musste ich wieder einmal lernen, dass eine Krebserkrankung und auch die Phase danach keineswegs linear verlaufen. Da ist sie wieder die Achterbahn oder der geschlängelte Weg über Berge und Täler.
In meinen ersten Wochen zuhause versuchte ich meinen Körper täglich zu bewegen, einige wissen es, dass "Fit mit Philipp" meine neue Form des täglichen Fitnesstrainings geworden ist und ich damit auch sehr gut zurechtgekommen bin. Die ersten 2km Spaziergänge waren ein Erfolg und ich versuchte mir Alltagsroutinen zu schaffen für Körper, Geist und Seele. Bis dahin dachte ich auch noch, alles läuft weiter den Weg nach oben zu mehr Leistung. Dann folgte der erste Zusammenbruch, das Fieber holte mich ein, ich musste wieder stationär ins Krankenhaus. Nicht nur empfand ich es als eine Art Versagen, so schnell wieder in einem Krankenhauszimmer festzusitzen, ich konnte auch nicht verstehen, warum es so rasch bergab ging. Trotz zahlreicher Tests konnte keine Ursache für das Fieber gefunden werden, meine Blutwerte waren wunderschön für jemanden, der frisch transplantiert worden ist. Auch meine Harnwegsbeschwerden, die mich seit 3 Wochen quälten, konnte mir niemand erklären. "Das ist sicher noch eine Nebenwirkung der Chemotherapie, die Schleimhäute sind gereizt." Wie lange dauert so etwas oder muss ich nun permanent mit einer Art Harnwegsinfekt leben? "Es wird besser." Und da war er zum ersten Mal, dieser Satz, der für sich allein im Raum stehen bleibt und gleichzeitig alles und nichts aussagt.
Nach meiner Entlassung wurden die Folgen dieses Rückschlags für meinen Körper erst richtig sicht- und merkbar. Innerhalb von zwei Wochen hatte ich fünf Kilo abgenommen, wodurch ich mich nur schwer auf meinen Flamingobeinchen halten konnte. Den Weg auf die AKH Ambulanz schaffte ich plötzlich nicht mehr zu Fuß, sondern musste mit dem Rollstuhl hingebracht werden. Zuhause wird mir immer wieder schwarz vor Augen und bereits nach einfachen Tätigkeiten wie Zähne putzen und Waschen, sind meine Energien verpufft, der Akkustand auf 0% und ich liege wieder auf der Couch. Meine geliebte Couch, auf der ich zurzeit den Großteil meiner Tage verbringe, eine Folge nach der anderen auf Netflix schaue und immer wieder einschlafe. Von Spazieren gehen leider nicht einmal ansatzweise die Rede, kippe ich immer wieder ein, muss gehalten werden oder mich sofort hinsetzen.
Bei einem meiner wöchentlichen Ambulanzbesuche am AKH lauscht ein Patient den Leidensbekundungen meiner Stationsfreundin und mir. Er schmunzelt und bringt sich in unser Gespräch mit den Worten: "Es wird besser", ein. Meine Gesprächspartnerin ist außer sich und möchte ihn auf einen Zeitrahmen festnageln. "Wann ist das? Ab welchen Tag, welcher Woche?" Mir tut der freundliche Mann in seinen 40ern leid, der so bedrängt wird und es ist ihm anzusehen, dass er damit nur helfen wollte, aber nun in einer Sackgasse feststeckt aus der er nur schwer herauskommen kann. Ich verstehe das Bedürfnis danach zu wissen, wann die Schmerzen endlich weg sein werden, wann es bergauf geht, aber jede*r von uns weiß im Inneren, dass es darauf keine Antwort mit Datum und Zeitangabe geben kann. Und dennoch wollen wir Menschen eben genau das wissen. So wie bereits auf der Station, als es hieß, am Tag 10 kommen die Zellen und dann wird alles besser, und so war es eben auch. In der Phase der Heilung gibt es diese Angaben aber nicht. Meine ehemalige Stationskollegin betont nochmal mit etwas Spaß aber auch Ernst in der Stimme, bevor sie die Ambulanz verlässt; "Wehe es ist nächste Woche immer noch so und wir sehen uns hier". Ich denke etwas Angst stand dem netten Herrn ins Gesicht geschrieben, aber er wandte sich danach erneut mir zu und meinte nur: "Es wird wirklich besser, wann kann ich nicht sagen, aber alles wird irgendwann besser."
Zeit und Geduld, da sind sie wieder die beiden Qualitäten die nicht gerade zu meinen großen Stärken gehören, die ich aber zurzeit mehr als alles andere brauchen kann, um diesen Weg zu beschreiten und durchzukommen. Die Phrase "Es wird besser" verfolgt mich seither beinahe täglich, entweder von Menschen um mich herum oder bei Arztgesprächen. In meinem momentanen Körper und meiner derzeitigen Verfassung frage ich mich allerdings: "Wird es wirklich besser?"
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