Die Isolationshaft
Hinter dieser tristen Tür befindet sich eine meist finstere Schleuse, in der sich jede Person, die sich weiter vorwagen möchte desinfizieren und mit Accessoires wie einer Haube und Handschuhen ausstatten muss, bevor man durch eine automatische Tür in meinen 15 bis maximal 20m2 großen Lebensraum gelangt, den ich seit 18 Tagen nicht verlassen habe.
Vom Leben außerhalb dieser Tür bekomme ich nichts mit. Es mag erscheinen, als ob ich in dieser Isolation zunehmend vereinsame und dem Wahnsinn erliege, dem ist jedoch nicht so. Ein großer Irrglaube ist, dass man in seiner Isolationszelle genügend Zeit hat über den Sinn des Lebens zu philosophieren, Pläne für das Leben da draußen in der Welt zu schmieden oder sich anderweitig irgendeiner Form von "Hobbies" zu widmen, wenn man das so nennen kann. Zumeist werden Versuche wie diese durch regelmäßige Blutdruckkontrollen, verschiedenste Therapieangebote, die Visite, einen Putztrupp und das Essen, unterbrochen. So kann es auch schon einmal vorkommen, dass so mancher Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung mithören musste, wie nach Schmerzen, Erbrechen oder dem momentanen Verdauungsverhalten gefragt wird.
Alleine im Zimmer, scheinbar nur umgeben vom Geräusch der Lüftungsanlage, die möglicherweise in ihrer Lautstärke die erlaubte Dezibelgrenze überschreitet und dem leisen Glucksen der Infusionen, die langsam in den 7 Meter Marsupilami* hineintröpfeln. Ein permanenter Luftzug herrscht und die Temperatur ist konstant gleich. Nur der Blick aus dem Fenster lässt erahnen welche Wetterverhältnisse in der realen Welt tatsächlich herrschen.
Plötzlich, ein Licht in der Schleuse, ich erstarre zu einer Eisstatue, lausche ob wer kommt, sich raschelnd die Schürze und Handschuhe anzieht und warte bis die elektrische Tür gegen die Wand donnert. Manchmal ist es das Essen, dann wieder die regelmäßigen Blutdruck- und Temperaturmessungen, ein andermal zahlreiche Antibiotika, Immunsuppressiva, Elektrolyte und Blutprodukte, die angeschlossen werden und alle durch meinen Schlauch in mein Inneres fließen. Das Programm ist also abwechslungsreich und alleine fühlt man sich auch nie wirklich, vor allem nicht wenn die Jalousien vor der Schleusentür offenstehen und den Blick ins Zimmer von außen möglich machen. Größer als ein Schlitz im Gefängnistrakt kann man mich somit durchaus bei allem beobachten.
Es muss unter anderem ein herrlicher Anblick gewesen sein, als ich Glatzkopf im Nachthemd vor dem Fernseher zu "Fit mit Philipp" herumgeturnt habe.
Ich lausche also oft den Klängen in der Schleuse, achte auf das Licht und beende meine Tätigkeiten um zu sehen was als Nächstes passiert. Isoliert, aber doch permanent unter Beobachtung?!
Das Dosentelefon auf der Isolationsstation
An meinem ersten Tag auf der Station habe ich auf dem zunächst trostlos leer wirkenden Gang eine ganz liebe Leidensgenossin kennengelernt und unendliche Runden auf dem Stationsgang verbracht. Jede*r braucht doch in einem Hochsicherheitstrakt Verbündete für den Ausbruch oder? ;) In unserem Fall träumten wir von der endgültigen Heilung, hier rauszugehen nicht mehr zurückzuschauen und unser Leben wieder in Freiheit leben zu können. In den wenigen Tagen, die wir vor der endgültigen Isolation noch am Gang herumspazieren durften, planten wir bereits die gemeinsame Flucht auf den Gang, sobald es wieder möglich sein sollte. Wir verlegten also unsere illegale Telefonleitung zwischen unseren Zimmern (keine Sorge natürlich benutzen wir Mobiltelefone, aber zur besseren Dramatik der Geschichte ;) ), um uns gegenseitig am Laufenden halten zu können bis wir unser erstes Spazierdate haben konnten, wenn das Gröbste vorbei ist.
Der Kontakt nach draußen
Ähnlich wie in einem Gefängnis, muss man sich Verbündete suchen, welche die Versorgung mit wichtigen Gütern sicherstellen. Kein Appetit auf das Essen, dann wird in Windeseile ein Marmeladebrot, Biskotten, Pudding etc. angeboten. Probleme beim Trinken werden mit einer Auswahl an Säften ausgetrickst. Und ganz besondere Dealer*innen stecken dir auch mal ein Twinni von der letzten Einkaufstour zu. Zusätzlich gibt es Rat, Antworten auf Fragen, Trost und ganz viel Interesse für die Einzelinhaftierte. Ich genieße diese kurzen Phasen von Smalltalk, Fürsorglichkeit und Lebensfreude sehr, bis sich die Schleusentür mit dem bekannten "Rumms" auch wieder schließt und ich wieder allein bin und nur mehr die Lüftung höre.
Sinneswahrnehmungen
Die zum Teil reizarme und immer gleiche Umgebung hat auch eine Einschränkung meiner Sinneswahrnehmungen zur Folge. Ich sehe stets die grüne Wand mit den grauen Filteranlagen vor mir und daneben die hellgelbe Wand. Der Blick über Wien ist einzigartig, aber mittlerweile bekannt. Es weht hier kein Windzug, auch wenn es sich danach anhört. Mich berührt das Personal und ich selbst, ansonsten kein Streicheln, das mir liebevoll die Härchen auf den Armen aufstellt. Es riecht nicht nach dem Regen, der vor meinem Fenster fällt, die Luft ist nicht angenehm frisch und klar nach dem Regenguss.
Ich frage mich wie warm es draußen ist, wie sich die Sonne auf meiner Haut anfühlen würde?
Wieviele Erdbeeren haben alle schon gegessen und wie schmecken sie? Deren Saison wird bestimmt an mir vorübergehen...
Pulsiert die Stadt vor meinem Fenster voller lachender Menschen und zwitschernder Vögel oder ist es eher ein Hupkonzert von genervten Autofahrer*innen, Straßenlärm und dem Wiener Grant?
Riecht es schon nach Sommer und Schwimmbad oder eher nach Abfall und Abgasen?
All diese Reize, die weit weg erscheinen, werde ich sie eines Tages anders wahrnehmen? Wird die Welt da draußen vielleicht sogar einmal zu laut, zu viel für mich, nachdem ich Wochen hier in meiner Isolationszelle verbracht habe fernab von Zivilisation, Natur und deren herrlichen Eindrücken?
*kleine Information am Rande: Seit gestern, 9.6. hat man mich von der Leine genommen, ich bewege mich somit in meinem winzigen Lebensraum nun mit maximaler Bewegungsfreiheit ohne den Schlauch verlegen zu müssen. Ein großer Fortschritt in Richtung Freiheit. R.I.P. Marsupilami
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