Das JA-Sag Jahr
Ein Jahr zwischen dem Alten und dem Neuen geht zu Ende und wie dieser Raum zwischen den Jahren, in dem wir uns zurzeit befinden, fühlte sich dieses vergangene Jahr nach meiner lebensrettenden Stammzellentransplantation für mich an.
Das Comeback des Jahres, mein persönliches "JA-Sag" Jahr, wie ich es genannt habe.
Wie beschreibt man all die Prozesse, die im Innen und Außen ablaufen?
Welche Erkenntnisse hat mir diese einzigartige Erfahrung im Leben geschenkt?
Habe ich das Leben nun "verstanden" und weiß worum es wirklich geht?
Begonnen hat dieses Jahr mit dem Vorsatz JA zu all den Möglichkeiten und Chancen zu sagen, die dieses neue gesunde Leben für mich bereithält. Auf einmal waren da jedoch viel zu viele Möglichkeiten und neben Tatendrang, Energie und Lebensfreude war da auch diese unglaubliche Erschöpfung und die Sehnsucht nach der Ruhe und des Friedens, welche ich in meinem kleinen Isolierzimmer verspürt habe. Das mag für viele absolut unverständlich klingen, wie man sich zurück in die schwerste Zeit des eigenen Lebens sehnen kann. Genau in dieser Zeit jedoch war dieses einfache Nichts, das mir Ruhe, Frieden und eine gewisse Gelassenheit geschenkt hat. Nichts tun, nichts müssen, nichts leisten. Einfach nur SEIN!!!!
Die Verpflichtungen des Alltags rasten ungebremst wieder auf mich zu und weder die Reha noch meine Psychotherapie konnten mich entsprechend darauf vorbereiten. Es schien beinahe so, als ob mein altes Leben wieder in Form eines Schnellzuges angerast kam und mich abholen wollte.
Und da stand ich nun, gefangen in dieser Zone irgendwo zwischen dem Alten, Gewohnten, Vertrauten, Routinen und dem Neuen, Unbekannten, Freien, einem Weg der noch unbeschritten vor mir lag.
In meiner Vorstellung habe ich mir gewünscht, dass meine Krebsgeschichte ein Happy End mit einer neuen Lebenseinstellung und einem Gefühl mit sich im Reinen zu sein, für mich bereithält. Das tatsächliche Lebensgefühl liegt irgendwo dazwischen:
Zwischen altbekannten Verhaltensmustern, die bisher gut geklappt haben und dem Drang aus dem eigenen Herzen und dem wahren Ich heraus zu sprechen und zu handeln.
Zwischen vertrauten Wegen, die Sicherheit geben, weil ich sie so oft schon gegangen bin und einer Reise in ein neues, fremdes Land mit neuen Regeln und Möglichkeiten.
Zwischen der Angst, dass dieses mühsam erkämpfte Leben mir ebenso schnell wieder genommen werden kann und dem Mut, das Leben zu leben und daran teilzuhaben.
Zwischen dem schlechten Gewissen es geschafft zu haben während so viele Menschen diese Chance nicht bekommen haben und der Dankbarkeit, dass es da draußen Menschen gibt, die sich als Lebensretter*innen zur Verfügung stellen.
Zwischen langjährigen Lebensbegleitern und Beziehungen, die nur mehr von Erinnerungen leben und Verbindungen, die intensiver und stärker geworden sind.
Zwischen traditionellen Lebensmodellen, die meine Lebensweise einschränken und der Freiheit eigene Entscheidungen zu treffen und mein Leben nach meinen Vorstellungen zu führen.
Zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle und dem Risiko und der Spontanität, die ins Abenteuer führen.
Zwischen Komfortzone und Veränderungen, die mich wachsen und mein volles Potenzial entfalten lassen.
Dieses neue Lebensgefühl liegt also in diesem Zwischenraum und wie so oft im Leben gibt es nicht das Eine oder das Andere, sondern eine Überlappung aus beiden.
Ich versuche ruhig und gelassen in die Zukunft zu blicken und all die Erfahrungen als einen Rucksack anzusehen, der mich auf meinem Weg gut ausrüstet und mir ermöglicht alle Widrigkeiten und Stolpersteine die sich mir in den Weg stellen, auszuhalten.
2024 war ein Neustart in mehrfacher Hinsicht und meine persönliche Veränderung ist noch nicht vollständig abgeschlossen, wie der Kokon eines Schmetterlings, der mich noch umhüllt, aber bereits an einigen Stellen Risse aufweist.
Ich bin bereit im kommenden Jahr hervorzukommen, meine Flügel auszubreiten und loszufliegen, in der Gewissheit, dass ich alles was ich dafür brauche bereits in mir trage.
Quelle:
Ryan Holiday, 2024: Der tägliche Stoiker- 366 Nachdenkliche Betrachtungen über Weisheit, Beharrlichkeit und Lebensstil. (16. Auflage). FinanzBuch Verlag. München.
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Liebe Jasmin, daß hat mich berührt, was Du schreibst, auch das schöne Bild von Hannah - schön, daß Du losfliegen möchtest.
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