Alles Chemo zum Geburtstag, hallo 29!

Mein letzter Zwanziger-Geburtstag und gleichzeitig mein allererster Chemotag und damit Start in einen neuen Lebensabschnitt.

Begonnen hat dieser besondere Tag bereits in den frühen Morgenstunden, aber nicht wie ihr vielleicht denkt mit Wachbleiben bis Mitternacht nur um vergnügt ins neue Lebensjahr zu starten, sondern einer lautstark schnarchenden Mitbewohnerin (den Durchmesser dieses Baumstammes, den sie da absägen wollte, hätte ich gern gesehen) und einer weiteren Dame, die neben Hustenanfällen auch alle paar Minuten das WC aufgesucht hat. Getoppt wurde das Ganze noch von Pfleger*innen, die immer wieder nach laufenden Infusionen sehen mussten. Also konnte ich mir selbst bereits als Erste einen schönen Geburtstag wünschen (und das alle 15 Minuten bis 1.30 Uhr).

In der Trilogie der besonderen Geburtstage (2020: Lockdown, 2021: nur 10 Personen treffen, 2022: Manuel mit Corona infiziert) nimmt dieser einen ganz besonderen Platz ein und wird mir wohl ein Leben lang in Erinnerung bleiben. Diesen Satz habe ich die letzten Male zwar auch gesagt, aber ich denke wir können den ersten Rang auf jeden Fall an meinen 29. Geburtstag abtreten.

Wenn ihr euch fragt, wie so ein Chemozyklus aussieht und vonstatten geht, skizziere ich euch hier mal meinen ersten Tag des "Heilfastens". Heilfasten ist ein positiver Begriff, der oftmals mit Reinigung in Verbindung gebracht wird und ich habe mich entschieden die Chemotherapie als genau das anzusehen, weil sie eigentlich auch genau das ist. Mithilfe einer Chemotherapie sollen bösartige Zellen aus dem Körper verdrängt werden, also der Körper wird "gereinigt" und damit auf das eigentliche Ziel, die Heilung vorbereitet.

Die Chemotherapie ist nicht GEGEN dich, sie kämpft MIT dir, an deiner Seite, damit dein Feind geschwächt wird und du eine Chance im Kampf gegen ihn hast.

In meinem Fall bekomme ich die Chemotherapie über den ZVK:

Der zentrale Venenkatheter (ZVK) ist ein dünner Schlauch, der über eine Vene (meistens am Hals) in Herznähe geschoben wird und welcher sowohl zur Blutabnahme als auch zur Verabreichung von Medikamenten dient.

Der ZVK wird in der Regel von Ärzt*innen der Anästhesie und Intensivmedizin gestochen, dies erfolgt mit Lokalbetäubung des umliegenden Gewebes am Hals und unter Ultraschallkontrolle der Gefäße. Wie so oft bei mir der Fall, habe ich es mir 1000-Mal schlimmer vorgestellt, als es tatsächlich war. Um nicht zuviel zu verraten: das Unangenehme besteht eher darin, dass jemand an deinem Hals herumhantiert. Somit haben wir also mein 1. Geburtstagsgeschenk des Tages: Eine wunderschöne Halskette mit 3 Schläuchen, die seitlich an mir runterhängen.

Gepaart wird dieses Geschenk mit einer gelblichen Flüssigkeit, den Thrombos, die mir selbst immer mehr entgleiten und somit von einem*r Spender*in gegeben werden müssen.

Überraschung Nummer 2: Ein Ständchen der Pflegekräfte zum Geburtstag, bunte beschriftete Luftballons an meinem Bett und das Gefühl von Feierlichkeit und Liebe von diesen mir eigentlich noch fremden Menschen.

Die 3. Überraschung folgt jedoch sogleich und die Chemotherapie kommt. Hier verweise ich nochmals auf den von mir oben beschriebenen Zugang und die Sichtweise der Chemotherapie als eine Art "Reinigung" von allem Schlechten in meinem Körper. Meiner Meinung nach macht dieser positive Zugang und die Haltung, die wir diesem Schritt gegenüber haben, den Unterschied was eventuell auch körperliche Effekte auf uns betrifft.

Negative Gedanken ziehen eben auch negative Dinge in unser Leben heran, die selbsterfüllende Prophezeiung!

Bei meiner Einstellung hilft auch noch der Satz der Pflegerin: "Hier kommt dein Geburtstagsaperol!" Ein Teil von mir stellt sich mich mit einem Glas Aperol, Sonnenbrille aufgesetzt und in der Sonne sitzend vor, während ich das tatsächlich in der Farbe starke Ähnlichkeiten mit dem Sommergetränk aufweisende Gemisch an dem Infusionsständer neben mir betrachte.

Dann kommt die Einschulung mit meinem neuen Flitzer, der übrigens leider sehr sperrig herumzuschieben ist, aber immerhin ein gutes Muskeltraining für meine Ärmchen darstellt.

Chemoparty Vol.1 bei akuter myeloischer Leukämie (AML) zur Vorbereitung auf SZT:

• Mein Aperol läuft für 20 Minuten.

• Danach folgt ein weiteres Medikament für 2 Stunden mit anschließender kurzen Spülung.

• Dann bin ich den Ständer tatsächlich mal los und trage nun wie der Osterhase höchstpersönlich in einer Hipster-Bauchtasche das "Chemo-Ei" mit mir herum, das über 23 Stunden ein weiteres Medikament langsam infundiert.

• Zusätzlich zu dem ganzen Spaß werde ich wieder mit einer Art Pille beglückt, damit es zu keinerlei Blutungen kommt, welche in meinem jetzigen Stadium mit den wenigen Thrombos ein großes Risiko darstellen würden.

• Hygienemaßnahmen: Nach jedem Essen Mund sorgfältig mit Kochsalzlösung ausspülen und untenrum nach WC Gang desinfizieren um den Schleimhautentzündungen und somit Infekten in diesen Bereich vorzubeugen.

Dieses Unterhaltungsprogramm spielt es insgesamt für 7 Tage.

Der Tag endet mit einem Besuch meiner Eltern und Manuel, die mit mir wie früher bei Mc Donald's im Aufenthaltsraum Torte auf kleinen Papptellern mit Geburtstagsservietten verschmausen. Fehlt ja nur mehr die Krone und der Luftballon (wobei den hatte Manuel mit dabei ;) .

Mein Geburtstag hat also tatsächlich etwas Unvergessliches an sich, das ich allerdings auch an keinem meiner vielen noch folgenden Geburtstage wiederholen möchte.

Ich schließe heute meine Augen und erzähle der Nachtschwester noch von meinen Träumen vom 30er bei dem ich die Nacht durchtanze und im selben Jahr nach New York fliegen werde.

Nur wer den Mut hat zu träumen, hat die Kraft zu kämpfen.

Alfred Dallinger